Die Vielfalt der Möglichkeiten

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Die Nachfrage nach Architekten und Bauingenieuren auf dem Markt ist hoch. Berufseinsteiger, die gerade ihr Studium erfolgreich abgeschlossen haben, stehen jedoch oftmals vor der Frage, in welchem Bereich sie beruflich die besten Möglichkeiten haben und welche Zusatzqualifikationen sie sich für ihren potenziellen Arbeitgeber aneignen sollten.

Planungsberufe üben nach wie vor auf den beruflichen Nachwuchs eine große Faszination aus, da diese Kreativität mit technischem Know-how verbinden. Trotz der hohen Zahl der jährlichen Absolventen gibt es in vielen Regionen aktuell einen Fachkräftemangel, so dass Architektur- sowie Ingenieurbüros, Bauverwaltungen und auch öffentliche Auftraggeber deutschlandweit auf kreativen Wegen nach jungen und gut ausgebildeten Mitarbeitern für ihre Projekte suchen. Oft ergibt sich auch direkt aus einem Praktikum heraus ein Berufseinstieg.
Hierzu sagt Irma Voswinkel, Ingenieurreferentin bei der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau: „Die Lage am Arbeitsmarkt ist aktuell für Bewerber sehr günstig – Bauingenieure sind gefragt. Die Arbeitskräftenachfrage im Baubereich ist in den letzten Jahren gestiegen.“ So waren im Jahr 2018 rund 47 Prozent der Bauingenieure über 50 Jahre alt. Bei einem Ausscheiden aus dem Berufsleben mit durchschnittlich 64 Jahren ergibt sich deutschlandweit ein Bedarf von etwa 8.000 Neueinstellungen pro Jahr. Demgegenüber stünden bis etwa 2022 jährlich nur etwa 6.000 Absolventen, führt die Diplom-Ingenieurin aus. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), betont ebenfalls: „Der Markt ist gut für Arbeitssuchende, vor allem jenseits der Metropolen.“ Er ist sich zudem sicher, dass dies noch länger anhalte, da der Bedarf an Planungsaufgaben seiner Einschätzung nach eher zu- als abnehmen werde. Insbesondere Menschen mit praktischer Bauleitungserfahrung seien daher begehrt.
    Sehr gefragt sind laut Frank Jansen, Fachexperte und Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik, „momentan Absolventen, die sich schon mit Themen wie Building Information Modeling oder Lean Construction befasst haben. Aber auch diejenigen, die sich mit innovativen Werkstoffen und Ressourceneinsparung beschäftigen, sind sehr gefragt.“ Studierenden der Fachrichtung Bauingenieurwesen und Architektur rät Thomas Welter, bereits im Studium praktische Erfahrungen zu sammeln und nicht nur „den Entwurf als Traumtätigkeit wahrzunehmen“. Darüber hinaus ist es ihm zufolge aber auch von Vorteil, wenn die Absolventen und Berufseinsteiger eine gewisse Neugierde, die Fähigkeit zuzuhören und den Willen mitbringen, sich nicht auf die erstbeste Lösung einzulassen. „Des Weiteren ist die Fähigkeit, sich weiterhin neues Wissen und Erfahrungen anzueignen, wesentlich“, betont der Bundesgeschäftsführer.

Vorlieben und Interessen sammeln

Das A und O für Berufseinsteiger ist aber, sich darüber bewusst zu werden, was sie wirklich wissen und können und wo ihre besonderen Talente liegen. Das Studium zielt vor allem darauf ab, ein generalistisches Know-how zu vermitteln, damit die Absolventen in den unterschiedlichsten Bereichen tätig werden können. Klar ist jedoch, dass es individuell Präferenzen für das eine oder andere Thema gibt. Daher sollten Absolventen sich in den ersten Jahren ausprobieren und flexibel sein, aber auch objektiv eigene Defizite – beispielsweise in Bezug auf das Baurecht oder die praktische Erfahrung – ausgleichen. Wer im Zuge seiner Ausbildung und ersten beruflichen Praxis ein passendes Schwerpunktthema gefunden hat, kann sich in diese Richtung zudem weiterbilden und spezialisieren.
„In einem Arbeitsbereich, der den persönlichen Neigungen und Begabungen entspricht, wird sicher eine höhere Arbeitszufriedenheit möglich sein“, weiß Irma Voswinkel und ergänzt: „Von einer sehr frühen ,Spezialisierung‘ ist dennoch eher abzuraten, da konjunkturelle Schwankungen in Teilbereichen der Branche mit einem Verlust des Arbeitsplatzes einhergehen können und ein Umstieg in einen anderen Bereich dann oft schwierig wird, wenn ein ,breites Fundament‘ fehlt.“ Sie empfiehlt Absolventen daher, sich zu überlegen, wo diese in fünf Jahren stehen möchten und was sie am wahrscheinlichsten an dieses Ziel bringt.
    „Spezialisierungen entstehen meist durch die Umstände von allein“, sagt Thomas Welter. Diese können sich bereits in der Zeit ergeben, in denen die Berufsanfänger unter Anleitung in Architektur- oder Ingenieurbüros arbeiten. Neben den Büros mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten finden sich für die Berufseinsteiger auch bei Denkmalschutzbehörden, Bauämtern und Immobilienfirmen geeignete Betätigungsfelder. Oder man kann über entsprechende Plattformen und Zeitarbeitsfirmen über den Tellerrand hinausschauen, um – wie vielleicht schon während des Studiums ausgetestet – im Ausland weitere Berufserfahrungen zu sammeln sowie Fach- und Sprachkenntnisse zu vertiefen. Thomas Welter bekräftigt: „Der Blick über den Tellerrand ist immer gut. Dies kann durch Auslandserfahrungen oder die Befassung mit unterschiedlichen Themen erfolgen.“

Kontakt zur Landeskammer ist wichtig

Absolventen sollten sich nach dem Hochschulabschluss an die Architekten- oder Ingenieurkammer ihres Bundeslandes wenden. „Die Fortbildungswerke der Architekten- und Ingenieurkammern der Länder bieten baupraktische und rechtliche Fortbildungen an – Themen, die im Studium häufig zu kurz gekommen sind. Auch gibt es Vermittlungsbörsen. Der Einstieg ist heutzutage nicht mehr schwer, vor allem wenn Qualifikationen jenseits des Studiums mitgebracht werden“, weiß der BDA-Bundesgeschäftsführer. Einige Kammern offerieren aktive Junior-Netzwerke und Mentoring-Programme und informieren umfassend über den Weg zu den geschützten Berufstiteln. Es dürfen sich nämlich nur diejenigen „Architekt“, „Innenarchitekt“, „Landschaftsarchitekt“ oder „Stadtplaner“ nennen, die einerseits ein Architekturstudium mit einem akademischen Abschluss „Dipl.-Ing.“, „M.A.“ oder „M.Arch.“ sowie eine zweijährige Berufspraxis unter Anleitung eines erfahrenen Architekten vorweisen können und die andererseits in einer Architektenkammer eingetragen sind. Die Architektenkammer wacht zudem über die „Pflege von Berufsordnung und Fortbildung für die Qualifikation“ ihrer Mitglieder.
    Damit das Studium auch die Grundvoraussetzung erfüllt, um in die Architektenliste eingetragen zu werden, muss ein mindestens vierjähriges (Regelstudienzeit) konsekutives Studium innerhalb einer Fachrichtung absolviert werden. Können Absolventen nur einen sechs- oder siebensemestrigen Bachelor-Studiengang vorweisen, müssen sie noch einen konsekutiven Master-Studiengang der gleichen Fachrichtung abschließen, um die Anforderungen an das Studium zu erfüllen. Georg Stein von der Architektenkammer Rheinland-Pfalz betont dabei, dass EU-notifizierte Studiengänge auch zur Berufsausübung im europäischen Ausland anerkannt werden.

Den eigenen Weg gehen

„Nach einer Eintragung in die Kammerliste ist es dann möglich, freiberuflich tätig zu werden. Dies kann durch die Gründung eines neuen Büros oder durch die Aufnahme in eine Partnerschaft in einem bestehenden Büro sein“, beschreibt Thomas Welter die unterschiedlichen Schritte in die Selbständigkeit. Dies setzt jedoch große Motivation, eigenverantwortliches Arbeiten, Belastbarkeit und die Bereitschaft voraus, sich ständig neuen Themen und Herausforderungen zu stellen.
    Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie vielschichtig diese sein können: „Zum einen hat sich die Arbeit in den Büros verändert. Es gibt mehr Videoabstimmungen, statt zu Terminen weit zu fahren. Zum anderen hat die Pandemie Tendenzen wie den Wandel des Handels und der Innenstädte verstärkt“, erklärt der BDA-Bundesgeschäftsführer, der noch weitere Veränderungen für die Branche sieht: „Viel stärker als die Pandemie verändern die Anforderungen des klimagerechten und ressourcensparenden Planens und Bauens sowie die Digitalisierung die Arbeit in den Architektur- und Bauingenieurbüros.“
    Darüber hinaus beobachtet der Bund Deutscher Architekten eine Verschlechterung der Chancen kleiner und mittlerer oder junger Büros bei der Vergabe öffentlicher Planungsaufträge. Auch stünden im öffentlichen Sektor die Honorare unter Druck. Im privaten Bereich sei das Bild differenzierter, da gebe es manchmal große Chancen für junge Büros, erläutert Thomas Welter abschließend. me

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